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Spektrum der Wissenschaft November 1998: Leseprobe

Rechnen mit DNA

Ein Computer der Zukunft könnte flüssig sein – aber ganz ohne Quanteneffekte. Moleküle, die der Natur abgeschaut sind, wirken als kleine Rechenmaschinen.

Leonard M. Adleman

Was denkt man sich bei dem Wort „Computer“? Tastatur, Bildschirm, vielleicht sogar den Mikroprozessor, das elektronische Bauteil aus Silicium, das die wesentliche Arbeit macht. An diese Vorstellung haben wir uns gewöhnt. Aber muß das so sein? Der Computer in Ihrem Kopf, mit dem Sie diese Zeilen lesen, hat wenig Ähnlichkeit mit einem PC. Vielleicht ist unsere Vorstellung von Rechnern doch zu begrenzt. Was wäre, wenn sie allgegenwärtig in den verschiedensten Formen vorkämen? Kann es einen flüssigen Computer geben, in dem Moleküle sich gegenseitig beeinflussen und dadurch Berechnungen anstellen? Die Antwort lautet ja. Und hier beginnt die Geschichte vom DNA-Computer.

Die Biologie wird neu entdeckt

Meine Rolle in dieser Geschichte begann 1993, als ich zum ersten Mal ein molekularbiologisches Labor betrat. Obwohl ich Mathematiker und Informatiker bin, hatte ich Forschungen zur Immunschwächekrankheit AIDS angestellt und bin nach wie vor von der Bedeutung meiner Ergebnisse überzeugt. Leider gelang es mir nicht, die Fachleute für meine Ideen zu interessieren. Um überzeugender mitreden zu können, beschloß ich, mich intensiver mit der Biologie des AIDS-Erregers HIV zu befassen. So geriet ich in das Molekularbiologielabor und erlernte unter der Anleitung von Nickolas Chelyapov (der inzwischen leitender Wissenschaftler in meinem eigenen Labor ist) die Methoden der modernen Biologie.

Ich war fasziniert. Mit eigenen Händen konnte ich Moleküle der Erbsubstanz DNA (Desoxyribonucleinsäure) erschaffen, die in der Natur nicht vorkamen. Und indem ich sie in Bakterien einschleuste, wo sie als Baupläne für Proteine wirkten, konnte ich die Eigenschaften der Mikroben verändern.

Derweil las ich das klassisch gewordene Buch „Molecular Biology of the Gene“. Einer der Autoren ist James D. Watson, der gemeinsam mit Francis H. C. Crick die Doppelhelix-Struktur der DNA entdeckt hat. Da endlich korrigierte ich mein Vorurteil aus meiner Studienzeit an der Universität von Kalifornien in Berkeley: Offensichtlich war Biologie nicht nur die Wissenschaft vom Vergammeln von Lebensmitteln im Kühlschrank, sondern so tiefsinnig und erklärungsmächtig wie die Physik; denn es ist echte Mathematik darin enthalten. Es geht um die in der DNA gespeicherte Information und ihre Verarbeitung: Zeichenketten aus den vier Elementen A, T, G und C; die Buchstaben stehen für die Hauptkomponenten der Bausteine, die Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Diese Basen sind entlang eines Rückgrats zu einem langen Strang aufgereiht wie eine Kette von Buchstaben. Ein DNA-Molekül besteht aus zwei solchen Strängen; dabei steht jeder Base aus dem einen Strang eine bestimmte, die komplementäre Base aus dem anderen Strang gegenüber: A paart sich stets mit T und C mit G.

Spätabends im Bett geriet ich in Watsons Buch an die Stelle, wo die DNA-Polymerase beschrieben wird, die Königin der Enzyme und die Urkraft des Lebens. Unter geeigneten Bedingungen erzeugt DNA-Polymerase zu einem DNA-Einzelstrang einen dazu komplementären. Zum Beispiel erzeugt sie zu einem Strang mit der Sequenz CATGTC einen neuen mit der Sequenz GTACAG. Nach dem gleichen Muster bekommt der ehemalige Gegenstrang einen neuen Partner gestrickt, und das ursprüngliche doppelsträngige Molekül hat sich verdoppelt. Ohne diese DNA-Replikation könnte sich keine Zelle und letztlich auch kein Mensch vermehren. Für einen strengen Verfechter des Reduktionismus liegt das Wesen des Lebens in der Vervielfältigung von DNA durch die Polymerase.

Es handelt sich um eine faszinierende kleine Nanomaschine, die aus einem einzigen Molekül besteht. Sie heftet sich an einen DNA-Strang, gleitet daran entlang, liest dabei eine Base nach der anderen ab und fügt deren Komplement samt dem entsprechenden Stück Rückgrat dem neuen DNA-Strang an: Sie schreibt gewissermaßen eine Negativkopie des Strangs.

Noch in die Bewunderung des phantastischen Enzyms versunken, entdeckte ich plötzlich eine Parallele zu einem ganz anderen Gebiet. Der englische Mathematiker Alan M. Turing (1912 bis 1954) – sowie unabhängig von ihm Kurt Gödel (1906 bis 1978), Alonzo Church (1903 bis 1995) und Stephen C. Kleene (1909 bis 1994) – hatte ab 1936 den Begriff der Berechenbarkeit einer exakten Analyse unterzogen. Diese rein theoretischen Arbeiten entstanden etwa zehn Jahre vor den ersten Computern und lieferten einige der wichtigsten mathematischen Erkenntnisse des zwanzigsten Jahrhunderts (siehe „Der Einbruch des Zufalls in die Zahlentheorie“ von Gregory J. Chaitin, Spektrum der Wissenschaft, September 1988, Seite 62).

Für seine Untersuchungen hatte Turing sich eine Maschine ausgedacht, die heute seinen Namen trägt. Es ist ein Denkmodell, das zu realisieren sinnlos wäre – für Berechnungen in größerem Umfang wäre eine Turing-Maschine denkbar ungeeignet –, das vielmehr durch seine geniale Einfachheit und Durchschaubarkeit die Theorie vorangebracht hat (siehe „Turingmaschinen“ von John E. Hopcroft, Spektrum der Wissenschaft, Juli 1984, Seite 34).

Eine Version seiner hypothetischen Maschine besteht aus zwei Magnetbändern und einem Mechanismus namens endliche Steuereinheit (finite control), der sich gleichzeitig entlang beider Bänder bewegen kann. Eines der Bänder gilt als Eingabeband; von ihm wird nur abgelesen, während die Steuereinheit das andere Band, das Ausgabeband, sowohl ablesen als auch beschreiben kann. Es ist ein leichtes, sie so zu programmieren, daß sie eine Folge aus den Zeichen A, T, G und C vom Eingabeband liest und deren Komplement auf das Ausgabeband schreibt. Offensichtlich tut die DNA-Polymerase im wesentlichen dasselbe wie eine Turing-Maschine.

Diese Übereinstimmung gewinnt ihre eigentliche Tragweite erst aus einer Aussage, die als Churchsche These berühmt wurde. Turings Spielzeug-Computer ist berechnungsuniversell: Alles, was überhaupt berechenbar ist, kann auch von dieser unglaublich einfachen Maschine berechnet werden – ein komplementärer DNA-Strang, die Zerlegung einer ganzen Zahl in Faktoren, der günstigste nächste Zug bei einem Schachspiel und so weiter. Wenn also die DNA-Polymerase Eigenschaften einer Turing-Maschine hätte … Bei diesem Gedanken fuhr ich im Bett hoch, erschreckte meine Frau Lori mit dem Ausruf „Donnerwetter, die Dinger könnten ja rechnen!“ und verbrachte den Rest der Nacht mit Überlegungen, wie man mit DNA Probleme lösen könnte.

Meine erste Idee war eine Art Turing-Maschine mit einem Enzym anstelle der endlichen Steuereinheit. Bemerkenswerterweise hatten fast zehn Jahre zuvor Charles H. Bennett und Rolf Landauer von IBM nahezu die gleiche Idee gehabt (siehe deren Artikel „Grundsätzliche physikalische Grenzen beim Berechnen“, Spektrum der Wissenschaft, September 1985, Seite 94). Leider gab es dafür nur ein funktionierendes Beispiel, eben die DNA-Polymerase, und man konnte sich nicht recht vorstellen, wie ein Enzym andere, kompliziertere Berechnungsprobleme bewältigen könnte.

Hier macht sich eine entscheidende Eigenschaft der Biotechnologen bemerkbar: Wir sind eine Bande von Dieben. Weit davon entfernt, diese unglaublichen Molekularmaschinen wie die DNA-Polymerase selbst erschaffen zu können, sind wir darauf angewiesen, sie den Zellen zu stehlen. Die ganze Branche lebt von diesem Diebesgut; aber das ist glücklicherweise sehr reichhaltig. In drei oder vier Milliarden Jahren biologischer Evolution ist eine Fülle natürlicher Nanomaschinen entstanden; aber eine zum Schachspielen war nicht darunter. Wozu auch unter natürlichen Bedingungen? Wenn ich also einen DNA-Computer mit interessanten Fähigkeiten bauen wollte, mußte ich die vorhandenen natürlichen Werkzeuge zweckentfremden. Das sind im wesentlichen folgende:

Diese Werkzeuge erscheinen nun nicht gerade geeignet, ein Schachprogramm auszuführen oder auch nur zwei Zahlen miteinander zu multiplizieren. Doch die großen Logiker der dreißiger Jahre haben uns etwas Wichtiges gelehrt: Rechnen ist unglaublich einfach. Man muß es nur in elementare Aktionen zerlegen. Ein Computer braucht im Prinzip lediglich zwei Bauteile: eines zum Speichern von Information und eines zur Verarbeitung der gespeicherten Information. Bei einer Turing-Maschine sind dies das Magnetband einerseits und die endliche Steuereinheit andererseits. Bei einem modernen Computer stecken viele und verschiedene Bauteile der einen wie der anderen Art in den Speicher- beziehungsweise Prozessorchips. Entscheidend aber ist: Auf die technischen Einzelheiten kommt es kaum an. Fast jede Methode, Information zu speichern, und nahezu jedes Sortiment von Operationen, diese zu verarbeiten, ist ausreichend, und zwar für alles, was überhaupt berechenbar ist.

Es genügt, die richtige Eingabeinformation bereitzustellen und darauf die Operationen in der richtigen Reihenfolge anzuwenden, das heißt ein Programm ablaufen zu lassen. Zur Speicherung von Information ist DNA hervorragend geeignet. Immerhin verwenden die Zellen sie seit Milliarden von Jahren genau dafür. Und sie verarbeiten die Information mit Enzymen wie Polymerasen, Ligasen und anderen. Aber war dies genug, einen universellen Computer zu bauen? Aufgrund der Lehren aus den dreißiger Jahren war ich davon überzeugt.

Den vollständigen Artikel von Leonard M. Adleman über "Rechnen mit DNA" finden Sie ab Seite 70 in der November-Ausgabe 1998 von Spektrum der Wissenschaft.


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